Wo es in Leipzig noch Platten zu kaufen gibt

Am Unwichtigsten ist der Dirigent. Das hat ein CD-Verkäufer beobachtet, wenn sich dessen Kunden fragen: Welche Aufnahme kaufe ich? Wir dagegen fragen: Wo gibt es überhaupt noch Tonaufnahmen zu kaufen? Hagen Kunze hat die Lage in Leipzig und stichprobenweise in zwei anderen Städten erkundet.

Fast zwei Jahrzehnte ist es her, dass das Gewandhaus-Magazin der Frage nachging, wo Liebhaber klassischer Musik in Leipzig CDs kaufen können. Mit dem heutigen Wissen um die Branche liest sich der damalige Rundgang durch die großen und kleinen Verkaufsstellen in Pleißathen wie ein Bericht aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit. Eröffnet wurde der Report mit dem staunenden Blick eines Kulturtouristen, der in der Halbmillionenstadt mit dem kulturellen Angebot einer ungleich größeren Metropole nach einem Fachgeschäft in guter Lage sucht und schließlich in der Handwerkerpassage die erstaunlich kleine »Sinfonie« findet. Verglichen wurde das Ganze mit einem Seitenblick auf die Berliner Konkurrenz mit ihren riesigen Verkaufsflächen, wo im Frühjahr 1995 wohl wirklich einmal von der pressfrischen CD des Tschaikowski-Violinkonzerts mit Julian Rachlin innerhalb weniger Tage ein Stapel verkauft wurde, der vom Erdboden bis in Brusthöhe reichte.
   So sah es in den Verkaufsstellen der Leipziger Fachgeschäfte, ob nun in der »Sinfonie« oder im später eröffneten »Opus 61«, nie aus. Und so wird es auch nie wieder werden – nicht in Berlin und erst recht nicht in Leipzig. Denn deutschlandweit kämpfen die CD-Läden um ihr Überleben. Kurz nach dem Erscheinen des Reports imGewandhaus-Magazin musste die »Sinfonie« schließen, die Restbestände kaufte der 1994 eröffnete Gewandhaus-Shop, der zunächst ausschließlich im Umfeld von Gewandhauskonzerten im Foyer am Augustusplatz CDs anbot.
   Sah es zunächst so aus, als könnte die traditionsreiche Musikalienhandlung »M. Oelsner« die Lücke schließen, so hatten die Leipziger schon bald wieder einen ambitionierten Fachhändler: »Opus 61« nannte sich das Geschäft – nach Beethovens Violinkonzert, wie die Gründer René Dobberkau und Susanne Paulus damals verrieten. Für Einheimische hatte der Name aber auch eine andere Bedeutung: Felix Mendelssohn Bartholdy erweiterte nämlich in seiner Leipziger Zeit den jugendlichen Geniestreich der »Sommernachtstraum«-Ouvertüre zu einer mehrsätzigen Bühnenmusik und gab dem neuen Werk just auch die Opuszahl 61. Ein gutes Omen für einen hiesigen Klassik-Fachhändler, möchte man meinen. Doch zwei Geschäftsumzüge und die Trennung der Inhaber führten dazu, dass Dobberkau 2011 das Handtuch warf. Zuletzt fand sich die Leipziger Dependance von »Opus 61«, die auch unter Jazz-Fans einen Namen hatte, neben dem Stadtgeschichtlichen Museum. Dobberkau zog später nach Hamburg, seine restlichen CDs übernahm Daniel Lässig. Von ihm, der in der Südvorstadt unter dem Namen »Phonocentrum« einen beachtlichen Second-Hand-Shop für Vinyl und CDs betreibt, wird später noch die Rede sein.

Zurück in die Innenstadt, zurück zur Suche nach einem Klassikhändler: 20-jähriges Betriebsjubiläum feiert der Gewandhaus-Shop in diesem Jahr, und was Werner Schirbel als Verkaufsstelle für Konzertbesucher startete, ist heute das letzte verbliebene CD-Fachgeschäft in der Musikstadt. Der Gründer ist mittlerweile in den Ruhestand gegangen, das Geschäft übergab er Tochter Bettina. Die hätte sich vor 20 Jahren nie träumen lassen, dass sie einst das Erbe der »Sinfonie« weiterführen würde. »Ich habe Kosmetikerin gelernt. Aber das Interesse für Musik war schon immer da, als Kind bin ich oft mit meinen Eltern in Konzerte oder in die Oper gegangen«, erzählt Bettina Schirbel. Dass sie das Geschäft des Vaters übernehmen konnte, hängt auch mit Mutter Karin zusammen: »Sie ist die gute Seele des Geschäfts, steht oft während der Gewandhauskonzerte hinter dem Tresen und kümmert sich darum, dass ich bisweilen auch bei meiner Familie sein kann.«
   Nach mehr als einem Jahrzehnt als Fachhändlerin kennt die Quereinsteigerin die Branche zur Genüge. Und so sieht auch sie, dass gerade in den vergangenen Jahren deutschlandweit immer mehr Geschäfte aufgaben: »Rechnet man die Kulturkaufhäuser wie Dussmann in Berlin oder Beck in München nicht hinzu, dann gibt es heute noch rund 15 privat geführte CD-Fachgeschäfte in ganz Deutschland.« Die verbliebenen werden von den Plattenfirmen gehegt und gepflegt. Zu den regelmäßigen Treffen werden Stars eingeladen, die dann bisweilen kleine Privatkonzerte geben. Werbung mit Hintergedanken, denn: »Wenn wir deren Platten nicht verkaufen, dann verkauft sie niemand«, weiß Bettina Schirbel und ist überzeugt: »Der Klassikmarkt ist kein Online-Markt, die Käufer wollen gute Beratung.«
   Günstige Preise wollen sie wohl auch: Zumindest erweckt der Gewandhaus-Shop diesen Eindruck: Auf gut 100 Quadratmetern prangen an fast jedem Regal und auf jedem Tisch große Preisschilder, viele von ihnen verraten, dass die betreffende CD verbilligt angeboten wird. »Das sind Aktionen der Plattenfirmen, die wir weitergeben«, erläutert Schirbel. »Meine Erfahrung zeigt mir, dass selbst Gewandhaus-Besucher preisbewusst einkaufen. Viele fragen gezielt nach Sonderangeboten.« Was auf den ersten Blick nicht so recht zum Hochglanz-Image des Gewandhauses passen will, bestätigt sogar der Kollege von der Konkurrenz: Michael Rosenthal, Inhaber der Musikalienhandlung »M. Oelsner« (auch dieses Geschäft ist eines der wenigen verbliebenen seiner Art in Deutschland), kennt drei Arten von Kunden. »Es gibt den Touristen, der zu CDs hiesiger Ensembles als Andenken an Leipzig greift. Dann den gut informierten Käufer, der eine ganz bestimmte Aufnahme mit ganz bestimmten Künstlern sucht. Und schließlich den preisbewussten Kunden, der dann kauft, wenn er etwas günstig bekommt.« Nahezu paritätisch sind diese drei Gruppen verteilt, weiß Rosenthal. »Das Preisschild spielt in Leipzig immer noch eine größere Rolle als in westdeutschen Städten.«
   In Zeiten des Booms der Klassikindustrie (in den 1990er Jahren stellten viele Musikliebhaber ihre Sammlung auf CD um) hätte auch er überlegt, sein Geschäft neu auszurichten, erinnert sich Michael Rosenthal. »Viele meiner Kollegen haben sich damals große CD-Abteilungen aufgebaut.« Zwei Jahrzehnte später ist der Musikalienhändler glücklich, dass er zauderte. »Das Geschäft hätte das nicht überlebt«, mutmaßt der »Oelsner«-Inhaber. So gehören CDs im Jahr 2014 zwar zum Portfolio des Musikalienhändlers, sie spielen aber nicht die Hauptrolle. Aufnahmen mit Leipziger Ensembles wie dem Thomanerchor, »Amarcord« oder »Calmus« sind seine Dauerbrenner – und zu denen zählt eine Platte bei »Oelsner« bereits, wenn sie zehnmal verkauft wird.

Mit solchen Zahlen muss auch Bettina Schirbel kalkulieren. Ein Exempel: Ende Juni 2014 dirigiert Herbert Blomstedt Franz Schuberts »Große C-Dur-Sinfonie«. Der Gewandhaus-Ehrendirigent beeindruckt kurz vor seinem 87. Geburtstag mit staunenswerter Vitalität. Nach dem Donnerstagskonzert bleibt es dennoch erstaunlich leer zwischen den CD-Regalen. »Heute kommen traditionell die Leipziger – und die haben Schuberts Große schon im Schrank«, glaubt Bettina Schirbel. Dabei hatte Dramaturgin Lea Fink in ihrer Konzerteinführung sogar regelrecht Werbung für zwei CDs gemacht: Bei der Erläuterung des Orgelkonzerts von Paul Hindemith verweist sie auf eine Einspielung des Österreichischen Rundfunks. Und schließlich schlägt sie gar den Bogen zum Konzert der Folgewoche: »Der dann zu hörende Komponist Brett Dean hat als Solist einst Hindemiths Konzert für Viola d’amore aufgenommen.« Interessante Infos für die Fachleute – Nachfragen aber gibt es im Shop nicht.
Am Tag danach, wenn Auswärtige und Touristen die Mehrheit des Publikums bilden, sieht das zumindest bei Schubert anders aus: Unmittelbar nach dem Beifall strömen zwei Dutzend Interessenten in den Shop, ein begeisterter Zuhörer kauft gleich die preisgekrönte Blomstedt-Box der Bruckner-Sinfonien. Die meisten anderen Kunden fragen aber gezielt nach einer Schubert-Aufnahme mit dem Gewandhausorchester und dem schwedischen Dirigenten. Doch die gibt es nicht; stattdessen gilt Blomstedts zu DDR-Zeiten entstandene Aufnahme mit der Staatskapelle Dresden als mustergültig – und dank der Nachwendewirren ist diese Einspielung gleich bei mehreren Labels im Niedrigpreisbereich vertreten. Natürlich liegen diese CDs im Gewandhaus-Shop auch an der Theke und hat die deutliche Werbung der Verkäuferin Erfolg: Die hörenswerte Einspielung findet mehrere Käufer.
   Beratung sei das A und O, betont die Geschäftsinhaberin gern. Was sie damit meint, wird nach dem Konzert deutlich: Die drei verschiedenen Sinfonien-Zählungen in Sachen Schubert irritieren selbst gestandene Konzertgänger. Auf manchen CD-Hüllen wird die »Große« als Siebte, auf anderen als Neunte bezeichnet, das Programmheft des Konzertes wiederum liefert mit der Nummerierung als Achte den derzeit gültigen Stand der Forschung. Karin Schirbel erläutert dies geduldig und passt auf, dass niemand, der die »Große« wünscht, mit der »Unvollendeten«, die auf vielen CDs als Sinfonie Nr. 8 bezeichnet ist, nach Hause geht.
   Es sind die Festivals, die das Geschäft mit den CDs nach wie vor ankurbeln: Sowohl beim Bachfest in Leipzig als auch bei den Händel-Festspielen im benachbarten Halle baut Bettina Schirbel Stände auf. Als in diesem Jahr Shootingstar Julia Lezhneva in Halle sang, brachte die Händlerin vor allem in der verkaufsträchtigen Pause 120 CDs unter die Zuhörer. Und selbst das Bachfest mit Ton Koopmans h-Moll-Messe, für Verkäufer wegen der fehlenden Pause eher ungünstig, lohnte sich: Gut zwei Dutzend Exemplare der 19 Jahre alten CD-Aufnahme gingen über den Ladentisch, dabei gab es die Einspielung Wochen zuvor gar nicht mehr im Handel. »Wir hatten schon im März die Plattenfirma darauf aufmerksam gemacht, dass wir angesichts der Bachfestauftritte von Ton Koopman Potenzial für eine Neuauflage sehen«, erinnert sich Bettina Schirbel.

Man braucht Vergleiche, um die Leipziger Verhältnisse einzuordnen. Darum Szenenwechsel: Mitte Juni 2014, Berliner Philharmonie. Gustavo Dudamel dirigiert Mahlers »Dritte«. Die Werkeinführung ist ein rhetorisches Meisterstück – doch welche CD die Dramaturgin für ihre Musikbeispiele verwendet, verrät sie nicht. Wie auch das Programmheft keinerlei Hinweise auf Aufnahmen gibt. Alexej Sauer, Inhaber des Shops in der Philharmonie, lächelt über die Idee, dass sich Dramaturgen und Verkäufer auf Empfehlungen einigen könnten. »Das ist im Alltag kaum umzusetzen. Die Einführungen werden bis kurz vor Beginn noch verändert.« Seit 1999 verkauft Sauer CDs in der Philharmonie. Begonnen hatte alles mit einem Tisch, 2002 mietete er 150 Quadratmeter im Foyer und bietet seitdem dort auch Bücher und Merchandising-Artikel an. Seine CD-Empfehlungen (von jedem im Konzert zu hörenden Werk gibt es meist zwei verschiedene Einspielungen) präsentiert er in einem eigenen Regal: »Die Leute wollen die Sachen oft genau anschauen, das geht aber nicht an der Theke, wo die Besucher unmittelbar vor dem Konzert nur schnell bezahlen wollen, um rechtzeitig auf ihren Plätzen zu sein.« 
   Auch von der Dritten stehen an diesem Abend zwei unterschiedliche Einspielungen im Regal, dazu noch Dudamel-CDs und eine Mahler-Box mit Simon Rattle und zwei verschiedenen Orchestern. Zu dieser greift eine ältere Dame gezielt, ehe sie minutenlang mit ihrem Gatten darüber diskutiert, ob die Dritte hier von den Berlinern oder den Luzernern gespielt wird. »Da sind unsere Kunden sehr genau. Am wichtigsten ist ihnen, dass die Philharmoniker spielen. Dann folgen der Komponist und das Werk, am unwichtigsten ist der Dirigent«, beobachtet Sauer. Dass Dudamel gerade als Mahler-Dirigent schon viele Lorbeeren gewonnen hat und seine CD-Einspielungen der Ersten und der Neunten aus Los Angeles sowie der Fünften und der Achten aus Caracas allesamt hörenswert sind, interessiert hier weniger. »Das sind eben keine Aufnahmen mit den Philharmonikern«, so Sauer lapidar. Die Verkaufszahlen nach insgesamt drei Konzerten geben ihm Recht: »Die Fünfte mit Dudamel hat sich nur ein einziges Mal verkauft, Rattles Version der Dritten hingegen achtmal«, verrät der Geschäftsinhaber zwei Tage später am Telefon.
   Anders als im Gewandhaus-Shop kontrastieren im Philharmonie-Shop keine übergroßen Preisschilder das Image der Berliner Philharmoniker. Die kleinen gelben Zettel kleben dezent auf den Rückseiten der CDs. Deren Sortierung verrät, was in erster Linie gekauft wird: »Berliner Philharmoniker« steht über einer riesigen Regalwand, eine zweite wirbt für »Ensembles und Mitglieder der Berliner Philharmoniker«. Da erscheint es dann auch logisch, dass der Merchandising-Bereich eine schier riesige Verkaufsfläche des Ladens einnimmt. Zudem zeigt ein Blick auf die Schlange am Verkaufstresen, dass all die Regenschirme, T-Shirts, Handtücher und Kugelschreiber durchaus gekauft werden: Gut 20 Kunden stöbern eine Viertelstunde vor dem Konzert in Sauers Angebot – die Hälfte von ihnen greift zu Merchandising-Artikeln.
   Wiederum Szenenwechsel: Dresden. Seit elf Jahren verkauft dort Susanne Paulus, die sich nach der Trennung von ihrem Geschäftspartner René Dobberkau ihren Teil der Marke »Opus 61« gesichert hat. Auf die Branche blickt sie eher skeptisch: »Für Neustarter sehe ich keine Zukunft.« Ihr 170-Quadratmeter-Geschäft hat sich dennoch in der Landeshauptstadt einen Namen gemacht – auch weil die Inhaberin bei den Konzerten in der Philharmonie, bei den Musikfestspielen und oft auch in der Frauenkirche verkauft. »Wenn es das Gehörte mit den gleichen Künstlern auf CD gibt, dann funktioniert das auch sehr gut«, hat sie festgestellt. »Dennoch ist der Markt insgesamt rückläufig, darauf muss man reagieren.« Susanne Paulus reagierte mit einer Ausweitung ihrer Geschäftsidee: Bei ihr kann man auch Noten kaufen, zudem ist sie eine ausgewiesene Spezialistin für Folk und Weltmusik.

Ein Rundgang durch Leipzig auf den Spuren der Recherche von 1995 wird zu einer Tour zu inzwischen aufgegebenen Verkaufsstellen. War damals noch die CD-Abteilung bei »Karstadt« ein Geheimtipp, so hat das Warenhaus mittlerweile die gesamte Abteilung für Unterhaltungselektronik und Tonträger geschlossen – wie der später eröffnete »Kaufhof« übrigens auch. Die Konkurrenz durch die Innenstadt-Dependancen von »Media-Markt« und »Saturn« ist wohl zu groß. Apropos »Saturn« im Hauptbahnhof: Dort arbeitete nach dem Ende der »Sinfonie« Mike Höpp und formte die Klassikabteilung zum Spezialgeschäft für Alte Musik. Die Verantwortlichen schauten sich das eine Weile lang an und zogen dann die Reißleine: Was bei den Branchenriesen keinen schnellen Umsatz bringt, hat dort nichts zu suchen – heute dominiert sowohl bei »Saturn« als auch bei »Media-Markt« mehrheitlich Billigware in den Klassikregalen.
   Weniger rigoros war man beim Drogeriemarkt »Müller« in der Petersstraße. Der hatte sich vor allem nach dem Ende der nur einen Steinwurf entfernten Niederlassung von »Zweitausendeins« zum Anziehungspunkt für preis- und qualitätsbewusste Klassikkäufer gemausert: Nirgendwo in Leipzig ist das Angebot an Aufnahmen des Labels Naxos so groß. Worauf die Verantwortlichen derart stolz sind, dass sie ihre übergroße Naxos-Fahne noch heute für mehrere Wochen im Jahr an die Fassade hängen. Dass das Angebot mittlerweile zurückgefahren wurde, bestreitet Filialleiter Peter Köppert keineswegs: »Die Nachfrage wurde geringer, aber wir verzichten nicht auf dieses Angebot. Und wir sind der Meinung, dass wir nach wie vor das intensivste Klassiksortiment in der Innenstadt haben.«
   Wer die Petersstraße von der »Müller«-Filiale aus in Richtung Ring geht und diesen überquert, kommt nach wenigen Minuten zu zwei Geschäften, die man auf der Suche nach Leipziger Klassikverkaufsstellen keinesfalls vergessen darf. »Musikhaus Kiez« nennt sich das auf unabhängigen Pop spezialisierte Musikfachgeschäft am Anfang des Peterssteinwegs, das seit seiner Gründung 1996 auch ein großes Repertoire an gebrauchten Klassik-CDs und Langspielplatten vorzuweisen hat. Verkäufer Philipp Weißbach präsentiert stolz die Ecke mit den klassischen LPs, fügt aber hinzu: »Nur zwei- bis dreimal im Jahr kommt ein Kunde, der gezielt nach bestimmten Aufnahmen fragt.« Anders als bei der Popularmusik haben die Klassik-LPs darum im »Musikhaus Kiez« nicht einmal jene durchsichtigen Hüllen, mit denen die meisten Gebrauchthändler ihre Vinyl-Schätze schützen. »Das wäre zu viel Aufwand«, erläutert Weißbach. »Im Bereich der Klassik ist das Vinyl leider tot.«
   Wenn er sich da mal nicht irrt. Sonst nämlich könnte die Geschäftsidee von Daniel Lässig gar nicht funktionieren. Der frühere Mitstreiter des »Kiez« hat nur wenige Meter weiter ebenfalls einen Laden eröffnet, der CDs und Langspielplatten führt. Und weil Lässig an das Comeback des Vinyls glaubt (»Es klingt wärmer und ehrlicher!«), hat er für seine Klassikabteilung sogar die ehemalige Drogerie im Nachbargeschäft angemietet. Dort sind nun 28 000 Tonträger in Drogerieschränke einsortiert, und allein schon das Stöbern macht viel Freude. »Es hat sich herumgesprochen, dass wir das einzige Fachgeschäft für Klassik-LPs weit und breit sind.« Regelmäßig kauft der Händler auch komplette Sammlungen an. Selbst die insgesamt siebte Box mit der DDR-Aufnahme des Bachschen Weihnachtsoratoriums, die dann zu den sechs anderen im Regal kommt, ist für den Händler wichtig. »Zu Weihnachten verkaufen wir diese Aufnahme alle zwei bis drei Tage, da ist es gut, wenn man übers Jahr einen Vorrat sammelt.«
   Mit der Konkurrenz versteht sich der Schallplatten-Fan übrigens prächtig: »›Oelsner‹ und der Gewandhaus-Shop schicken Kunden, die nach Vinyl fragen, immer zu uns.« Leipzig brauche auch bei den Klassikfachgeschäften keine Monopolisten, sondern viele verschiedene und unterschiedlich spezialisierte Händler, ist sich Lässig sicher. »Insofern finde ich es grundsätzlich nicht gut, wenn Läden wie ›Opus 61‹ schließen. Denn jede Schließung hinterlässt Spuren in der in dieser Hinsicht dann immer farbloseren Stadt, die doch gerade in der Klassikbranche einstmals so voller faszinierender Farbtupfer war.«